Der "Lebensborn" e.V. war weder eine Zeugungs- oder Zuchtanstalt noch eine karitative Einrichtung. Dennoch diente er als SS-Verein auf spezifische Weise der nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Rassenpolitik. Der "Lebensborn" e.V. war ein Ergebnis der NS-Rassenideologie: "Minderwertige" Rassen mussten bekämpft und ausgerottet (Holocaust) werden und "hochwertige" Rassen (damit war vor allem das deutsche Volk gemeint) mussten gefördert werden. Die Förderung "hochwertiger" Rassen bestand darin, politische und soziale Bedingungen so zu ändern, dass von ihnen möglichst viele Kinder zur Welt kamen. Deshalb kam es Hitler auch nicht darauf an, ob Kinder ehelich oder unehelich geboren wurden. Gründung Als Reichsführer-SS Heinrich Himmler 1935 höchster Polizeichef im Deutschen Reich wurde, ging er davon aus, dass jährlich ca. 700.000 Abtreibungen vorgenommen wurden. Frauen, die schwanger wurden, ohne verheiratet zu sein, wurden damals sozial ausgegrenzt. Sie wurden von der eigenen Familie verjagt, verloren ihren Arbeitsplatz. Viele versuchten, diesen Konflikt durch eine illegale Schwangerschaftsunterbrechung zu lösen. Und hier setzte Himmler an. Für ihn waren 700.00 Abtreibungen 700.000 verlorene Kinder. Wenn jetzt aber, so die Überlegungen Himmlers, niemand von der Schwangerschaft erfahren würde, würde damit auch der Grund für eine Abtreibung entfallen. Deshalb wollte er Schwangerschaftsunterbrechungen nicht nur mit Strafen bekämpfen, sondern auch mit der Geheimhaltung von Schwangerschaft und Geburt. Zur Realisierung dieser Idee gründete Himmler 1935 den "Lebensborn e. V." Nach der Satzung war die zentrale Aufgabe des Vereins, dass er "rassisch und erbbiologisch wertvolle werdenden Mütter" und ihre Kinder betreut. Der ärztliche Leiter des "Lebensborn", SS-Oberführer Dr. med. Gregor Ebner, stellte darüber hinaus 1938 fest: Aus dem "Lebensborn" werde eine auserlesene Jugend hervorgehen, "wertvoll an Geist und Körper, der Adel der Zukunft". Der "Lebensborn", fuhr er fort, schütze die ledige Mutter und ihr Kind vor den Angriffen der Gesellschaft "einzig und allein aus dem Gedanken heraus, daß wir Deutsche es uns nicht leisten können, auch nur auf einen einzigen Tropfen guten Blutes zu verzichten". Entbindungs- und Kinderheime Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der "Lebensborn" sollte Frauen, die bereits schwanger waren, aus rassenideologischen Gründen Beistand leisten. Deshalb errichtete er Entbindungsheime. Das erste Heim dieser Art wurde 1936 in Steinhöring bei München eröffnet. Bis Kriegsende besaß der Verein im Deutschen Reich (einschließlich Österreich) 9 Entbindungs- und zwei Kinderheime, in denen 7000 bis 8000 Kinder, davon 50 bis 60% unehelich, zur Welt kamen. Geheimhaltung Die von Himmler geforderte Geheimhaltung von Schwangerschaft und Geburt konnte nur unter Ausschaltung oder Umgehung geltenden Rechts durchgeführt werden. Eigene Heim-Standesämter verhinderten, daß das Geburtsstandesamt der Mutter von der Geburt eines unehelichen Kindes unterrichtet wurde, wie es gesetzlich vorgeschrieben war. Um die polizeiliche Meldepflicht zu unterlaufen, richtete der Verein in den Heimen eigene Meldeämter ein und verschaffte den werdenden Müttern Deckadressen, damit sie ihrer Heimatbehörde nicht das "Lebensborn"-Heim als neuen Aufenthaltsort nennen mußten. Betreuung Nach der Geburt übernahm "der "Lebensborn" die Vormundschaft, die bei unehelichen Kindern gesetzlich vorgeschrieben war. Da er daran interessiert war, daß die Mütter ihre Kinder großzogen, half er ihnen bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche. Erst wenn ein Zusammenleben von Mutter und Kind aus äußeren Gründen - zumal im Krieg - nicht möglich war, nahm er Kinder für einen befristeten Zeitraum in seine eigenen Kinderheime auf oder vermittelte sie in Familienpflege. Adoptionen waren nur für den Ausnahmefall vorgesehen und bedurften jedes Mal der persönlichen Zustimmung Himmlers. Bis Kriegsende wurden insgesamt nur 100 Kinder zur Adoption gegeben. Aufgrund dieser Fürsorgemaßnahmen hat ein Großteil der Frauen den "Lebensborn" als eine karitative Einrichtung in Erinnerung behalten. Ausbreitung nach Kriegsbeginn Mit der Besetzung West- und Nordeuropas durch die deutschen Truppen expandierte der "Lebensborn" über die Reichsgrenzen hinaus. Norwegen Nationalsozialistische Rassenanhänger schätzten den rassischen Wert der Bevölkerung Norwegens besonders hoch ein. Sie betrachteten die Norweger als "germanisches Brudervolk". Daher übernahm der "Lebensborn" sehr schnell die Betreuung der rund 12.000 meist unehelichen Kinder norwegischer Mütter und deutscher Väter. Ab 1941 errichtete er dort insgesamt 10 Entbindungs- und Kinderheime. Rund 250 dieser Kinder wurden meist ohne die Zustimmung ihrer Mütter nach Deutschland gebracht, wo sie adoptiert werden sollten.
Außerdem eröffnete der Verein jeweils ein Entbindungsheim in Belgien und Frankreich sowie ein Kinderheim in Luxemburg. In Belgien wurde hier in Wégimont im März 1943 das Lebensborn-Entbindungsheim mit Namen "Ardennen" eröffnet. Als es am 1.September 1944 wegen den vorrückenden Alliierten geräumt wurde, hatten nach den Recherchen von Boris Thiolay 40 bis 50 Frauen in dem Heim entbunden. Eindeutschung "fremdvölkischer" Kinder Ab 1942 beteiligte sich der "Lebensborn" auch an der Eindeutschung von 35aus dem früheren Jugoslawien (Kroatien, Slowenien), Polen oder der ehemaligen Tschechoslowakei gegen den Willen oder ohne Wissen ihrer Eltern bzw. Erziehungsberechtigten nach Deutschland verschleppt worden waren. Er gab ihnen deutsche Namen, erzog sie in seinen Heimen zu deutscher Lebensweise oder vermittelte sie in deutsche Pflegefamilien zum Zwecke einer späteren Adoption. Rassische Auslese Werdende Mütter wurden nur in die Heime aufgenommen, wenn sie den rassischen und erbbiologischen Voraussetzungen, die für die SS galten, entsprachen. So mußten sie mindestens 1,70 m groß sein, blonde und blauäugige wurden bevorzugt. Mit einer Ahnentafel, die über Eltern und Großeltern Auskunft gab, und speziellen Fragebögen ("Fragebogen KM" und "Gesundheitsnachweis"), die von einem Arzt auszufüllen waren, hatten die Frauen ihre gesundheitliche und rassische Tauglichkeit nachzuweisen. Entsprechende Belege wurden auch von dem Vater des zu erwartenden Kindes verlangt. RF-Fragebogen Erscheinungsbild" der Mutter notiert sowie ihr Verhalten im Heim und gegenüber dem Kind. Abschließend wurde gefragt, ob sie "rassisch", "weltanschaulich" und "charakterlich" der Auslese der SS entspreche und ob von ihr "im Sinne des Ausleseprinzips der SS noch weitere Kinder erwünscht" seien. Namensgebung Auch wurden die Mütter gehalten, ihre Kinder anstelle der Taufe einer "SS-Namensgebung" zu unterziehen, wodurch sie förmlich in die "SS-Sippengemeinschaft" aufgenommen wurden. "Euthanasie" Was wegen der rassischen Auslese eigentlich nicht vorkommen durfte, trat manchmal dennoch ein: Kinder kamen mit schweren Mißbildungen auf die Welt. Was geschah mit ihnen? Sie wurden aus dem Heim genommen, und der "Lebensborn" lehnte die Übernahme ihrer Vormundschaft ab. Bislang sind mir 17 solcher behinderter Kinder bekannt. Sie wurden vom "Lebensborn" in spezielle Heil- und Pflegeanstalten verlegt, in denen Kinder nach einer gewissen Beobachtungszeit getötet wurden. Alle 17 im "Lebensborn" mit Behinderungen geborenen Kinder wurden dort ermordet. Gescheiterte Utopie Himmlerhatte die Phantasie, dass dem Deutschen Reich nach 30 Jahren mit Hilfe des "Lebensborn" 400.000 Soldaten mehr zur Verfügung stehen würden. Die Bilanz sah aber nach 9 Jahren "Lebensborn" ganz anders aus: Wenn wir von ungefähr 8.000 "Lebensborn"-Geburten zwischen 1936 und 1945 im Deutschen Reich ausgehen, von denen ca. 60 % unehelich waren, so wäre das allenfalls ein Plus von 4.800 Geburten; ein äußerst mageres Ergebnis. Himmlers Utopie war also kläglich gescheitert. Schluß Wie erging es aber den Kindern, deren Schicksale sich hinter diesen Zahlen verbergen? Die meisten Kinder blieben für mehrere Monate manchmal für ein bis zwei Jahre im "Lebensborn". Ein Teil von ihnen wurde von Heim zu Heim, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie geschoben, bis sie, meist erst nach dem Krieg, von einem kinderlosen Ehepaar auf Dauer aufgenommen wurden. Die anderen Kinder wurden nach einer unterschiedlich langen Zeit der Trennung von ihren Müttern zu sich geholt, nachdem sich deren Lebenssituation stabilisiert hatte. Mit wenigen Ausnahmen ist allen "Lebensborn"-Kindern gemeinsam, dass ihnen von Müttern und Adoptiveltern die Herkunft verschwiegen wurde. Die Mütter verstummten oder tischten Lügen auf, wenn die heranwachsenden Kinder nach den unbekannten Vätern oder der frühen Kindheit fragten. Die Kinder spürten ihr Leben lang, daß ihre Mütter vor ihnen Geheimnisse verbargen. Unter diesen Umständen konnten sie kein stabiles liebevolles Vertrauensverhältnis zu ihren Müttern oder auch Adoptiveltern entwickeln. Dadurch wurde ihr Selbstwertgefühl geschwächt. Gleichzeitig fehlte ihnen durch die Unkenntnis über den leiblichen Vater ein Stück ihrer Identität. Von diesen Erfahrungen sind die "Lebensborn"-Kinder geprägt um nicht zu sagen traumatisiert. Sie waren daher auch lange Jahre ihres Lebens gelähmt, nach den Spuren ihrer Herkunft zu suchen. Nur allmählich gelang es den meisten von ihnen, in mühe- und leidvollen Recherchen, den leiblichen Vater zu ermitteln, ihre Kindheit zu rekonstruieren und damit ihre familiären Wurzeln zu finden. Eine unbekannte Zahl von "Lebensborn"-Kinder sucht aber heute noch nach ihrer verlorenen Kindheit, vor allem solche Kinder, die aus besetzten Ländern nach Deutschland verschleppt worden waren, und weder Mutter noch Vater kennen. Nicht anders ergeht es den "Kriegskindern" wie hier in Belgien. Angesichts der historischen Fakten ist es nicht gerechtfertigt, vom "Lebensborn" als einer "Zeugungs- und Zuchtanstalt" oder auch eines "Bordells" zu sprechen. Auch verbietet dies der Respekt vor dem Schicksal der unschuldigen Kinder, die vom "Lebensborn" für die Zwecke der nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Rassenpolitik mißbraucht wurden. |